Hauptmanns Tatort: Das Bahnwärterhäusschen ist längst verschwunden.
Während der Gerhart-Hauptmann-Tage des Jahres 2015 lasen junge Erkneraner aus der Novelle „Bahnwärter Thiel“. Das Werk galt seinerzeit als revolutionär. Es schildert die Überforderung eines Menschen, der unter den persönlichen Katastrophen und Konflikten zusammenbricht. Das Bahnwärterhäuschen an der Eisenbahnlinie Berlin-Frankfurt/Oder steht längst nicht mehr. Doch das Thema hat nichts von seiner Aktualität verloren. (Bericht und Foto von Christian Stauch)
Der Regio donnert in seinem Stundentakt vorbei. Gefolgt von endlos scheinenden Güterzügen mit ihrem typischen Rattern. Die automatische Schranke hebt und senkt sich im Rhythmus des Fahrplanes. Ein graues Betonhäuschen, ungelenk mit Graffitis besprüht. Dann endlich die mühselig gereinigte Tafel mit dem entscheidenden Hinweis auf die historische Bedeutung des Ortes. Hier stand in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts ein Bahnwärter-Häuschen, das der Dichter Gerhart Hauptmann mit seiner Novelle „Bahnwärter Thiel“ einst weltberühmt machte.
Am 6. November begannen in Erkner die zweiwöchigen Gerhart-Hauptmann-Tage mit ihren vielfältigen Veranstaltungen - siehe Terminkalender rechte Spalte. Der erste Höhepunkt: Das Eröffnungskonzert des Bechstein-Gymnasiums um 19:00 Uhr in der Genezareth-Kirche. Lehrer und Schüler aus verschiedenen Fachbereichen gestalteten gemeinsam ideenreich Szenen zu Hauptmanns Novelle "Bahnwärter Thiel", die 1887 in Erkner entstand und auch hier spielt.
Die Veranstaltung ist ein fächerübergreifender Ansatz der Kurse Deutsch, darstellendes Spiel und Musik. Die Projektwahl war offen. Doch die Schüler hatten sich schnell mit den Lehrkräften darauf geeinigt, dass die Eröffnung der Gerhart-Hauptmann-Tage 2015 auch einen direkten Bezug zum Schaffen und zum einstigen Wohnort des Literaturnobelpreisträgers Hauptmann sein sollte. Die Novelle „Bahnwärter Thiel“ erfüllte die Bedingungen. Insgesamt wurden elf Szenen aus der Novelle vorgelesen, teils darstellerisch unterlegt und mit Musik begleitet. Die musikalische Spannweite reichte dabei von echten klassischen Werken von Franz Schubert bis hin zu Opernwerken von Arthur Honegger.
Die klassische Novelle „Bahnwärter Thiel“ hat Gerhart Hauptmann im Jahr 1887 verfasst und im darauf folgenden Jahr 1888 veröffentlicht. Die Novelle ist ein Stück heimatlicher Geschichte. Gerhart Hauptmann schrieb sie zu einer Zeit als er in Erkner lebte.
Die Novelle »Bahnwärter Thiel« von Gerhart Hauptmann handelt von einem Bahnwärter, der den Tod seiner geliebten Frau Minna und des gemeinsamen Sohnes nicht überwinden kann. Am Ende begeht er geistig verwirrt, einen Mord an seiner zweiten Frau und dem gemeinsamen Kind. Die Novelle spielt Ende des 19. Jahrhunderts sowohl im Ort Schön-Schornstein als auch am Arbeitsplatz Thiels, dem kleinen Wärterhäuschen an der Bahnstrecke zwischen Berlin und Frankfurt/Oder.
Kurz zum Zeitverständnis: Die Eisenbahn war damals das hochmoderne Verkehrsmittel mit dem der Reisende an einem Tag hunderte von Kilometer zurücklegen konnte. Wenige Jahrzehnte zuvor waren es gerade 30 Kilometer in einem Tagesmarsch zu Fuß oder kaum mehr mit der Postkutsche. Die Menschen flüchteten vom Land in die wild boomenden Städte. Die Industrialisierung war in vollem Gange, der Sozialismus die treibende Kraft für eine gerechtere Gesellschaft.
Gerhart Hauptmann schilderte die sozialen Konflikte und Missstände (Die Weber 1892, Nobelpreis für Literatur 1912) drastisch und bis ins Detail. Die Novelle „Bahnwärter Thiel“ gehört zu einem der bedeutendsten Werke des Naturalismus.
Der Inhalt der Novelle: https://www.inhaltsangabe.de/hauptmann/bahnwaerter-thiel/