Für viele Jahre nur noch Erinnerung: Das S-Bahn-Netz in den Dreissigern
Der Mauerbau von 1961 zerriss das S-Bahnnetz über Nacht in zwei Teile. Das verbindende Element, diese riesige Maschine mit seinen Bahnhöfen, Gleisen, Weichen, Stellwerken, Reparaturbetrieben und schließlich den Fahrzeugen wurde geteilt und auf beiden Seiten auf Verschleiß gefahren.
Das rächt sich bis heute.
Die S-Bahn im Westteil Berlins wird weiter unter der Hoheit der Deutschen Reichsbahn betrieben. Viele Mitarbeiter der S-Bahn (West) sind auch Mitglied im SED-Ableger SEW. Damit wird sie in der Frontstadt (Berlin-West) zur Kommunisten-Bahn. Und folglich gemieden. Die Umsätze sinken drastisch, Die DDR schießt für den Betrieb des westlichen S-Bahn-Ableger zu. Harte Devisen – West-Mark.
Der Ring wird geteilt. Gekappt zwischen Gesundbrunnen und Schönhauser Allee. (Bild rechts) Und Treptower Park und Sonnenallee. Auf der früher pulsierenden Nord-Süd-Bahn (Humboldthain – Friedrichstraße – Anhalter Bahnhof) werden die Stationen zu „Geisterbahnhöfen“.
Erkner behält zumindest seinen S-Bahn-Anschluss – hier beginnt die DDR. Die Züge enden jedoch am Bahnhof Friedrichstraße. Im Westteil fährt die S-Bahn von Friedrichstraße bis Wannsee.
Der Abfahrtsbahnhof in Richtung West liegt nur wenige Meter vom Bahnhof nach Erkner entfernt. Für die meisten DDR-Bürger, die noch nicht im Rentenalter sind, jedoch unendlich weit. Für die Westberliner und die Besucher aus der Bundesrepublik geht es meist vom Bahnhof Zoo mit den rumpelnden Waggons in Richtung Friedrichstraße. Nach den gespenstischen Kontrollen samt Umtausch (20 DM-West in 20 MdN oder Mark der DDR) in den Katakomben des Tränenpalastes geht es dann zur Besichtigung der ersten sozialistischen Hauptstadt auf deutschem Boden.
Dazwischen die Tragödien von Menschen, denen die Mauer um ihr kleines bisschen Lebensglück oder auch den Tod gebracht hat. Nicht zu vergessen der Seiteneingang der Stasi Horch und Greif (MfS), mit der Agenten und OibE aus der Normannenstraße unerkannt in den Kapitalismus gelangen konnten. Und das alles 28 Jahre lang.
Die Zeit nach dem Mauerbau bis zu den ersten Besucherregelungen – Passierscheinabkommen - im Jahre 1963 war wohl das düsterste Kapitel der einstigen Weltmetropole Berlin. Es waren Willy Brandt und Egon Bahr, die in dieser Zeit im Schöneberger Rathaus überlegten, wie sowohl West- als auch Ostberlinern das Leben zu erleichtern sei. Was dann als vorsichtige Öffnung einzelner Grenzübergänge begann, mündete schließlich in die Ostverträge und Helsinki-Akte.
Umleitungen und Dampfbetrieb
Die S-Bahn fährt und altert. Von Potsdam Stadt bis Babelsberg gibt es über Jahrzehnte keinen elektrisch betriebenen S-Bahnzug mehr. Die Dampflok übernimmt den Zugbetrieb. Das gleiche Schicksal ereilt Hennigsdorf/Velten, Falkensee, Staaken, Teltow, Stahnsdorf und Blankenfelde/Rangsdorf.
Oranienburg bleibt dies erspart. Im Jahr 1961 werden die Streckenabschnitte Blankenburg – Hohen Neuendorf und Schönhauser Allee für den elektrischen Betrieb freigegeben. Jedoch bleibt auch die Verbindung zwischen Berlin-Fronau und Hohen Neuendorf/Oranienburg für lange Zeit unterbrochen.
Im Jahr 1962 geht der Bahnhof Flughafen Schönefeld an das elektrische Netz. Die Verbindung Schönefeld – Oranienburg wird zur längsten S-Bahnstrecke.
In der Folgezeit stagniert der Ausbau der Berliner S-Bahn. Erst Ende der siebziger Jahre/Anfang der achtziger Jahre kommt es mit der Entwicklung der Satellitenstädte Marzahn und Hohenschönhausen zum Ausbau der S-Bahn. Im Jahr 1976 fährt die S-Bahn bis Marzahn, 1982 bis Ahrensfelde, 1985 wird die Strecke nach Wartenberg ins Neubaugebiet Hohenschönhausen eröffnet.
Klassenkampf auf Gleisen
Anders läuft die Entwicklung im Westteil Berlins. Die Betriebsführung bleibt nach Kriegsende bei der Deutschen Reichsbahn. Die DDR versuchte wiederholt die Betriebsrechte und –pflichten als politischen Hebel zu missbrauchen. Weiterhin wurde in die S-Bahn im Westteil nur das Allernötigste investiert. Die Folge ist, dass die S-Bahn immer unattraktiver und Strecke um Strecke stillgelegt wird. Im Januar 1984 übernimmt schließlich die BVG die Betriebsführung der S-Bahn im Westteil Berlins.
Endlich neue Fahrzeuge
In Ost und West kommen die S-Bahnfahrzeuge in die Jahre. So wird im Osten die Baureihe 485 entwickelt (DR Baureihe 270) Serie ab 1989) und im Westen die Serie 480 (Serie ab 1990). Beide Baureihen werden ab Ende 1996 durch die neue Baureihe 481 ersetzt.
Nach der Wende im Jahre 1989 ist die S-Bahn kein Politikum mehr, sondern verbindet. Die Infrastruktur in ganz Berlin und Brandenburg wird wieder gemeinsam entwickelt.
Mit der Maueröffnung wird das Berliner S-Bahnnetz im Eiltempo verknüpft. Im Jahre 1991 erscheint das letzte Kursbuch mit der Fahrzeiten der Berliner S-Bahn. Endlich nach 28 Jahren: Die Fahrt von Erkner nach Potsdam wird wieder Alltag.
Über die Perspektiven der Berliner S-Bahn in den Neunziger Jahren, die neue Baureihe 481 aber auch von den Schwierigkeiten diese große Maschine wieder zusammen zu fügen lesen Sie im sechsten Teil der Reihe.
Jörg Vogelsänger, Landtagsabgeordneter