„In Berlin und Brandenburg droht am 8. Januar 2024 Chaos!“ Schreibt eine Brandenburger Zeitung und will den Traktor-Aufmarsch der Landwirte an diesem Tag begleiten. Unterdessen bemühen sich Verbandsvertreter der Agrarier um Schadensbegrenzung und versuchen, Rechtsradikale und andere Faschisten aus dem Demonstrationszug fernzuhalten. Um was geht es und was steckt dahinter? Hajo Guhl hat nachgeschaut, und den Beitrag überarbeitet.
Hassobjekt von Aufgebrachten war am Wochenende im Hafen von Schlüttsiel (Nordfriesland) war„wieder einmal“ Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck. Das Fährschiff musste abdrehen, ehe Wutbürger stürmen konnten. Der Bauernverband ruft inzwischen zur Mäßigung auf. Kurz gesagt: Die kommende Woche ab 8. Januar 2024 wird unübersichtlich, um es milde auszudrücken.
Nun ist es ein Leichtes, einen Sündenbock auszumachen und sich an ihm auszutoben! Doch ist die Fixierung auf einen Schuldigen gerechtfertigt, ist er der alleinige Täter und damit voll verantwortlich? Robert Habeck hängt mit drin, um es salopp zu formulieren, schließlich ist er Teil der Ampel und für den umfassenden Kürzungsbeschluss vom 15. Dezember 2023. Bundeskanzler Olaf Scholz, sein Vize Robert Habeck und schließlich Finanzminister Christian Lindner haben diesen nach mehreren Marathon-Sitzungen formuliert und freigegeben.
Grünes Schild und billiger Diesel
Die „Überlegungen“ um einen Streichen des Agrardiesel-Privilegs standen allerdings schon länger im Raum. „Kfz-Steuer: Ist die Befreiung für Traktoren noch zeitgemäß?“ Das fragte am 18.März 2023 nämlich der Bayerische Rundfunk.
Dieser stellte fest: „Der Bundesrechnungshof will den Landwirten das grüne Nummernschild nehmen, das sie von der Kfz-Steuer befreit.“ Und es solle auch keinen billigeren Agrardiesel mehr geben. Der Bundesrechnungshof hatte von Bundesfinanzminister Christian Lindner ultimativ verlangt, Ermäßigungen bei der Kfz-Steuer im Umfang von rund einer Milliarde Euro zu streichen. Die Reform sei "ohne weitere Verzögerungen" einzuleiten..
Nicht mehr angemessen
Die Rechnungsprüfer verwiesen auf eine im Jahre 2017 von Bundesminister für Finanzen, Wolfgang Schäuble in Auftrag gegebene Untersuchung des wissenschaftlichen Forschungsinstituts an der Universität zu Köln (FiFo-Institut). Die Studie fertiggestellt im März 2019 kam zu dem Ergebnis, mehrere Vergünstigungen seien auch mit Blick auf die Nachhaltigkeit nicht mehr angemessen oder deren Ziel bereits erreicht..
Die Geld-Töpfe Europas
Der Kampf um die Hilfen für die Landwirte hat in Europa b.z.w. Europäische Union eine lange Tradition und hat sich verselbständigt. Im Jahr 2022 kassierten deutsche Landwirte zusätzlich zu den EU-Subventionen in Höhe von über sechs Milliarden Euro weitere 2,7 Milliarden Euro vom Bund. Bis zu 40 Prozent der Einnahmen eines Landwirtschaftsbetriebes machen das aus. Darunter waren Investitionshilfen für Klimaschutzmaßnahmen oder Zuschüsse für Beiträge zur Unfallversicherung.
Keine Kfz-Steuer
Die Kfz-Steuerbefreiung macht 485 Millionen Euro aus. Rund 440 Millionen Euro flossen jedes Jahr für den sogenannten "Agrardiesel" retour. Von 47 Cent Steuern pro Liter Diesel, die der Bundesbürger regulär an der Tanke bezahlt, werden dem Landwirt rund 21 Cent rückerstattet. Zum Vergleich die Rückerstattungen für Agrardiesel in anderen EU-Ländern
Landwirtschaft muss im Land bleiben
Die Aufzählung soll beileibe kein Plädoyer für ein Streichen sämtlicher Beihilfen aus den Töpfen der EU, des Bundes und der Länder sein. Die Hilfen für die Agrarwirtschaft flossen nach dem Zweiten Weltkrieg auch, um langfristig Versorgungsengpässe an Lebensmitteln zu vermeiden und überlebensfähige Betriebe langfristig wirtschaftlich rentabel zu gestalten. Dabei ging es auch um die Unabhängigkeit vom höchst spekulativen Weltmarkt. Millionen Kleinbauern mussten damals in Europa (West) dicht machen…
Es sind also keine Erbpfründe, die in die Landwirtschaft fließen, sondern Maßnahmen der Vorsorge für den europäischen Verbraucher. So man sich an die Ursprünge besinnt.
Das kurze Gedächtnis
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) zog bereits im Februar 2023 eine Abschaffung des Steuererprivileges für Agrardiesel vor dem Bundestag in Betracht. Sein Ministerium prüfe regelmäßig „Subventionstatbestände, vor allem hinsichtlich ihrer ökologischen und sozialen Lenkungswirkung“. Dabei werde natürlich auch der Agrardiesel „noch einmal einer Bewertung unterzogen“, so Lindner.
Gleichzeitig bekräftigte der FDP-Chef: es würde nicht zu Steuererhöhungen oder Belastungserhöhungen für die Bürger und die Betriebe kommen, um den Bundeshaushalt zu sanieren. Veränderungen bei Subventionen, denen zum Beispiel Entlastungen an anderer Stelle gegenüberstünden, könne und sollte man aber nicht ausschließen.
Etwas bissiger Nachtrag
Die Erinnerung ist in der Politik sehr kurz. Das Internet dagegen ein ausgezeichnetes Langzeitgedächtnis: Böse Zungen behaupten seit den Sechziger Jahren, die FDP wäre eine klassische Umfaller-Partei. Und wie lautet der legendäre Satz von Kanzler Konrad Adenauer, den er so nie gesagt haben soll: „Wat interessiert mich mein Jeschwätz von jestern". (Der letzte Absatz gehört in die Kategorie Satire)