Typische Kleinbrauerei, hier im Spreewald. Hier lebt das Handwerk und schafft individuelle Biere In den angesagten New Yorker Bars kostet es genauso viel wie ein klassischer Cocktail. Kredenzt in Rotwein-ähnlichen Gläsern. Mit teilweise abenteuerlichen Geschmackskompositionen. Das sogenannte Craft-Beer – also handwerklich gebrautes Bier – hat in den USA bereits einen Marktanteil von zehn Prozent am Bierumsatz. In Deutschland greifen kleine Brauereien gerne die Trends der amerikanischen Kollegen auf. Doch manche Privatbrauereien zwischen Kiel und Garmisch, Aachen und Frankfurt Oder müssen auf den Zug erst gar nicht aufspringen. Sie haben schon immer ein besonders edles Bier angeboten. So auch in Brandenburg. Der Landwirtschaftsminister und Landtagsabgeordnete Jörg Vogelsänger hat sich umgeschaut. (Ein Bericht von Hajo Guhl)
Vogelsänger besuchte die Klosterbrauerei Neuzelle, die jetzt mit „Avantgarde der Braukunst“ wirbt. Ein Landwirtschaftsminister habe allen Grund sich für kleinere Brauereien und deren Fortbestand einzusetzen. Neuzelle zeige, dass alle Bereiche von den mittelständischen Brauereien profitieren. "Die Klosterbrauerei sichert 40 Arbeitsplätze im ländlichen Raum", hob er beispielsweise hervor. "Und wir haben zehn Auszubildende", ergänzte Helmut Fritsche. Hinzu kommen Werbung für die Region und nicht zuletzt ein Anziehungspunkt für Urlauber und Einheimische.
Brandenburgs Bier-Alternativen
Auch die neue Kampagne "Avangardist der Braukunst" überzeugte Jörg Vogelsänger. "Immer wieder entstehen hier kreative Dinge", befand er und deutete auf den Pappkarton mit Logo, in dem das Neuzeller Bier künftig ohne Plastik oder andere umweltbelastende Materialien transportiert werden kann.
In Brandenburg gibt es etwas mehr als ein gutes Dutzend privater Brauereien, die sich um ihr individuelles Bier bemühen. Die meisten beanspruchen für sich, schonend und zeitaufwendig zu brauen, besonders zu hopfen und eben auf hochwertige Zutaten wert zu legen. Turbo-Hefen und Extrakte von Hopfen und Malz sind tabu.
Avantgarde in den USA wird knallhart in Dollar und dem Außergewöhnlichen gemessen: Auf den Karten der In-Bars von New York wird angeboten: sieben US-$ für ein Fläschchen Berliner Weisse mit Rauchgeschmack. Ungefiltertes Kölsch 5,99 US-$, Kellerbier aus dem Eichenfass in der Bierkaraffe für 16 US-$ knapp der halbe Liter. Das Angebot der rund 3400 Craft-Beer-Brauereien mit rund 19 Milliarden Dollar Umsatz in 2014 überschlägt sich. Was Rezeptur und Geschmacksnote betrifft. Ohne Reinheitsgebot lebt sich´s eben leichter (nicht unbedingt besser).
Bier ist nicht Bier
Was ist überhaupt Bier, Cerveza, Pivo überhaupt? Grob gesagt, mit Hefe vergorenes Getreide. Zum Vergleich Wein: aus Obst gegoren. Bier gibt es hochprozentig in Likörstärke mit 15 Prozent Volumen-Alkohol. Es reicht vom Starkbier (bis zehn Prozent), unserem Hellen oder Pils (circa fünf Prozent) bis zum Leichtbier oder dem heutigen alkfreien, isotonische Fitness-Drink. Die Berliner Göre und Mutter des Autors holte übrigens noch in den frühen Dreißiger Jahren das Leichtbier aus der Kneipe um die Ecke für die ganze Familie. Der Schreiber versuchte sich Jahrzehnte später als Hobby-Brauer. Aus Fertigzutaten. Das im Plastikeimer vergorene Gesöff kam zum Reifen in Flaschen. Es dauerte Wochen, ehe es die Ähnlichkeit mit einem Bier annahm. Die Rezeptur war britisch, Pale Ale. Aus begreiflichen Gründen fiel eine Wiederholung des Versuchs aus. Was man aus Wasser, Malz, Hopfen und Hefe so alles machen kann!
Das erste Standardwerk in Sachen Bier
Das Reinheitsgebot heißt erst seit dem Jahre 1906 ebenso. Nach bayerischen Maßstäben wurde es im Jahre 1516 zum ersten Mal als Gesetz erlassen und auch durchgesetzt. Für den Bajuwaren ist das Gebot ureigenstes Kulturgut. Stimmt nicht ganz. Schon Kaiser Barbarossa hatte Jahrhunderte zuvor dem reichsfreien (schwäbischen) Augsburg verkündet, dass Bier „ordentlich“ zu brauen ist. Details wie Inhaltsstoffe fehlten allerdings.
Den Grundstein für die deutsche international anerkannte Brauerei-Kompetenz verdanken wir einem sächsischen Akademiker. Ein Dr. Heinrich Knaust veröffentlichte Anno 1575 das erste Bierstandardwerk mit rund 150 Rezepten. Das Motto: „Guter Dinge gibt es vier: Liebchen, Karten, Sang und Bier.“ Der trinkfreudige Gelehrte beschäftigte sich mit der „göttlichen und edlen Gabe, der philosophischen, hochteuren und wunderbaren Kunst, Bier zu brauen“. Bier sei „fast das fürnempst Getrenck“, welches man im „Land zu Sachsen, Thüringen und Meichsen“ gewöhnlich „gebrauchet“.
Sächsisches Bier war damals von solcher Güte, dass selbst die Herzöge von Bayern noch im Gründungsjahr des Münchner Hofbrauhauses 1589 für ihren Bedarf das bessere „Zschopauer Bier“ aus dem Erzgebirge bezogen. Die stark eingebrauten, sächsischen Biere wurden mit Fuhrwerken bis nach Magdeburg, Wien, Innsbruck, Prag exportiert. Ein teurer Luxus.
Fremder Hopfen ersetzte heimische Kräuter
Seit dem Hochmittelalter schwirrten die Zutaten Gersten(malz), Hopfen und Wasser immer wieder als alleinige Stoffe zum Brauen des Gerstensaftes in den Urkunden. Was nach deutschem Reinlichkeitssinn riecht, hat allerdings mehrere Gründe.
Das Bier des frühen Mittelalters wurde nicht gehopft und vor allem aus Hafer gebraut. Als Würze gab es „Grut“. Eine Kräutermischung heimischer Art, denn Hopfen kam ursprünglich aus Asien. Der Alkohol entstand sowohl mit Hilfe von Hefe oder Milchsäurebakterien (Die von Sauerkohl). Die Ursachen der Gärung waren damals unbekannt, nur die Wirkung. Hefe als Pilz wurde erst im 18. Jahrhundert (im Mikroskop) entdeckt.
Das gehopfte Bier exportierten im Hochmittelalter zuerst Hansekaufleute des Nord- und Ostseeraums. wahrscheinlich ähnlich aggressiv wie heute die gigantischen Biermultis, die übrigens aus Belgien, Dänemark, den Niederlanden und Großbritannien kommen. Gehopftes Bier hatte einen entscheidenden Vorteil. Es ließ sich (gekühlt) besser lagern und vor allem transportieren. In der Folgezeit verschwand das jeweils heimische Kräutergesöff.
Bier statt Wasser
Bier war damals nicht nur nach Ansicht der Bayern Lebensmittel. Der Grund: Es gab kaum saubere Bäche oder Brunnen. Die Flüsse in der Nähe von Städten stanken zum Himmel. Bis ins 18. Jahrhundert waren Bier und Wein die einzigen Getränke, die Soldat, Landmann, Bürger und Adel überhaupt zu sich nehmen konnten, ohne ernsthaft zu erkranken. Reine, in Flaschen abgefüllte Mineralwässer gab es noch nicht. Kaffee und Tee waren purer Luxus und der Oberschicht vorbehalten.
Vergorene Getränke wie Bier und Wein hatten einen entscheidenden Vorteil: Wo sich Hefe oder Milchsäure breitmachte, gediehen keine Bakterien. Jedenfalls solange nicht, bis das Gebraute kippte. Die alten Bierkeller zeugen noch von den Bemühungen der Altvorderen, ihre vergorenen Getränke möglichst lange frisch zu halten. Erst mit der Erfindung der Kältemaschinen und dem Pasteurisieren gelang es mit Ende des 19. Jahrhunderts die Produktion von Bier auf haltbar zu trimmen.
Bier für den Massenmarkt
Heute haben wir vier große internationale Multis, die sich über Jahre Brauerei um Brauerei zusammengekauft haben. Hinzu kommen riesige Brauereien in Asien, vor allem China. Die Bierheimat Deutschland wird längst von den Getrfänkekonzernen beherrscht. Edle Namen, große Marken haben längst ihre Eigenständigkeit verloren. Nicht der Braumeister bestimmt des Geschmack sondern die Marketingabteilung, das Controlling und der Chemiker. Das Handwerk, die hohe Kunst des Brauens weicht der industriellen Fertigung. Edle Rohstoffe wie Hopfen und Gerste werden zu Vorprodukten wie Extrakt und Malz-(zucker). Alles auf hohem Niveau natürlich – der individuelle Geschmack bleibt auf der Strecke. Schließlich wird es gleichgültig, welche Kiste Pils der Verbraucher mit nach Hause schleift. Nach dem Motto: Das Sonderangebot zählt, Hauptsache es dreht. Die Ausrichtung auf den Massengeschmack hat Folgen. Der Bierkonsum sinkt!
Der Feinschmecker sucht Nischen
Kein Wunder, dass weltweit wieder Kleinbrauereien ihre Nische finden. In Deutschland etwas zaghaft, denn im internationalen Vergleich sind wir mit eigenständigen Brauereien noch recht gut ausgestattet. Wo es noch fehlt, ist der Mut zu neuen Geschmacksrichtungen samt der Wiederentdeckung alter Sorten.
Ein Landwirtschaftsminister tut also gut daran, wenn er sich in seinem Metier auch um Nischenprodukte wie handwerklich erzeugtes Bier kümmert. Es gibt Landstriche, da gehört der Bierkrug fast zur Grundausstattung von Landesherr und seinen Ministern. Aber Politik sollte nicht (nur) im Bierzelt gemacht werden.