Im Gerhart Hauptmann Museum von Erkner (li); Fallada-Siedlung, Neuenhagen
Der brandenburgische Wahlkreis 31 wächst ebenso wie die Metropole Berlin. Siedlungen mit Einfamilienhäusern und Wohnblöcken entstehen. Die Konturen zwischen Land und Stadt verwischen. Zeit sich in den Spuren der Vergangenheit umzuschauen. Jörg Vogelsänger besucht die Wirkstätten zweier Dichter, die auf der einen Seite wie Vertreter längst vergangener Epochen scheinen, in ihren Arbeiten dennoch merkwürdig modern in ihren Theaterstücken, Erzählungen und Romanen und ihrem Leben. Gerhart Hauptmann lebte in einer herrschaftlichen Villa in Erkner, Hans Fallada in einem Reihenhaus in Neuenhagen.
Ein kurzer Rückblick an die eigene Schulzeit. Dichter des ausgehenden 19. und des 20. Jahrhunderts hatten in ihren Werken bedeutungsschwanger und morbide das bürgerliche Publikum zu belehren. Literatur durfte auf keinen Fall Spaß machen, so der Eindruck des heranwachsenden Jörg Vogelsänger und des Reporters (beide etwa eine Generation auseinander). Darin jedenfalls waren sich die Unterrichtsysteme in Ost und West einig.
Hauptmann und Fallada gehören zu den prominenten Literaten ihrer Zeit. Zum Hintergrund der beiden: Der Schlesier Gerhart Hauptmann, geboren am 15. November 1862 in Ober Salzbrunn (Szczawno-Zdrój, gestorben 6. Juni 1946 in Agnetendorf (Agnieszków) gelang n der Schule und den Akademien nicht besonders viel. Er kränkelte Zeit seines Lebens. Deshalb zog der junge Dichter im Jahre 1885 für vier Jahre in die Villa Lassen nach Erkner, um an den dort wabernden Teerschwaden aus der nahen Fabrik seine Lungen zu stärken. Die Schwindsucht, Rachitis und andere Lungenkrankheiten waren damals an der Tagesordnung. Die Medizin verordnete dagegen diese hocharomatische aber giftige Roßkur.
Hans Fallada, geboren 21. Juli 1893 in Greifswald; gestorben 5. Februar 1947 in Berlin hieß eigentlich Rudolf Wilhelm Friedrich Ditzen. Er war Sohn eines Richters und sollte auch Jurist werden. Heute würde man sagen, Herr Ditzen war unangepasst und missraten. Alki und Junki, saß wegen häuslicher Gewalttätigkeit im Gefängnis und war mehrfach suizidgefährdet. Förderer ermöglichten ihm, literarisch hochproduktiv zu sein; seine Werke werden der neuen Sachlichkeit zugerechnet
Hauptmann wohnte herrschaftlich: Das Museum nahe der Innenstadt von Erkner zeugt davon. Großzügige Räume, schwere Möbel und Bilder des großen Künstlers belegen Wohlstand. Ein Titan unter den Wortschöpfern eben, zumal seine erste Frau Marie, geb. Thienemann den Beginn der schriftstellerischen Aufstieg finanzierte und auch noch einiges in die Ehe einbrachte. Erkner ist mit dem Theaterstück „Bahnwärter Thiel“ verbunden. Das Häuschen an der Schranke ist verschwunden, den Übergang an der Verbindung zwischen Erkner und Frankfurt/oder gibt es noch.
An das Stück erinnert sich Jörg Vogelsänger. Hat es in der Schule gelesen. Den deutschen Schülern (Ost und West) des ausgehenden 20. Jahrhunderts sind wohl eher Hauptmanns „Die Weber“ haften geblieben. Das Elend der Textilarbeiter daheim, die angesichts der neu errichteten Webstühle in den Fabriken von Schlesien noch elender dahin vegetieren, hat nichts von seiner Aktualität verloren. Die „Webstühle“ stehen heute in Bangladesch, Indien und Pakistan. Das Elend hat sich globalisiert!
Hans Fallada lebte in einem Reihenhaus. In Neuenhagen, in einer heute leicht verwitterten Siedlung mit Charme. Die Architektur ist heute noch aktuell, eher liebevoller gestaltet als heutige Projekte. Hier entstand 1932 der Roman „kleiner Mann - was nun?“. Ein Bestseller, der ihm auch literarisch zum Durchbruch verhalf. An Fallada in der Schule kann sich Vogelsänger nicht erinnern. Der Schriftsteller war vielleicht zu heikel: Er beschreibt in seinem Spätwerk die Welt des Trinkers. Was für den Arbeiter- und Bauernstaat wohl kaum Vorbild war. Auch wenn der Schnaps auf den Datschen in Strömen floss. Zumindest gab es sein Gesamtwerk, gedruckt.
Hauptmann und Fallada haben nur kurze Zeit in der Region am Ostrand der Metropole Berlin gelebt. Haben aber ihre Spuren hinterlassen. Auch in ihren Werken. Vogelsänger: „Wir müssen aufpassen, dass mit der Verstädterung dieses kulturelle Erbe nicht verschwindet“.