Es ist erschreckend, dass dringend benötigte Medikamente nicht zur Verfügung standen oder immer noch stehen. Die Brandenburger Apothekerkammer hatte, als viele Bürger wegen einer Erkältung oder Grippe im Bett lagen, auf Engpässe bei Fiebersäften, Erkältungsmitteln und einigen Antibiotika hingewiesen. Björn Lüttmann, SPD-Landtagsabgeordneter und Vorsitzender des Ausschusses für Soziales, Gesundheit, Integration und Verbraucherschutz im Landtag Brandenburg beschreibt die Ursachen der globalen Versorgungslücken und Maßnahmen dagegen.
Das Thema verlässt den Rahmen der Landespolitik deutlich. Lieferengpässe bei Arzneimitteln gibt es gegenwärtig beispielsweise auch in den USA, sie sind ein globales Problem und wirken sich stets auf ganz Deutschland beziehungsweise ganz Europa aus! Wir müssen deshalb die Versorgungslage mit Medikamenten, zumindest in der Europäischen Union im Blick haben!
Die Gründe für die Lieferengpässe bei Medikamenten in den vergangenen Wochen und Monaten lagen vor allem in gestörten Lieferketten oder auch zeitweiligem Stillstand von produzierenden Unternehmen.
Hinzu kommt in diesem Winter nach zwei Jahren Corona bedingter Isolation von weiten Teilen der Bevölkerung eine besonders extreme Erkältungs- und Grippewelle! Das hat u.a. auch zu Hamsterkäufen geführt, die die Knappheit noch einmal verschärften.
Um es klarzustellen: Die Versorgung ist nicht zusammengebrochen! Wir sollten uns bei all jenen bedanken, die in der schwierigen Weltlage alles dafür tun, die Versorgung mit Medikamenten sicher zu stellen…
Und das sind in Deutschland rund 500 Herstellerfirmen, rund 20 Großhandelsunternehmen und mehr als 20.000 Apotheken! Deren Mitarbeiter waren gefordert, zum Teil mischten sie fehlende Medikamente selbst an, zum Teil treten sie in Kontakt mit behandelnden Ärztinnen und Ärzten, um Alternativen zu besprechen. Dennoch: Wir alle kennen die Berichte von Betroffenen, die vergeblich für dringende Medikamente angestanden haben.
Die Corona-Pandemie – auch der Krieg in der Ukraine – und die daraus folgenden Lieferengpässe führen uns deutlich vor Augen, in welche Abhängigkeiten uns der Einkauf billiger Medikamente auf dem Weltmarkt gebracht hat.
Asien, der Rohstoff-Lieferant
Rund 70 Prozent der für Europa bestimmten medizinischen Wirkstoffe werden inzwischen in Asien produziert. Für manche Wirkstoffe gibt es nur noch wenige Hersteller, sie haben fast ein Monopol, und wenn dann einzelne Anlagen ausfallen, gibt es schnell weltweite Lieferprobleme.
Und dabei ist uns eigentlich allen klar, welche Produktionsbedingungen zum Beispiel in Indien teilweise herrschen – wie uns das ja bei anderen Produkten, wie unserer Kleidung, ja theoretisch auch klar ist.
Nehmen wir das Beispiel der indischen Millionenmetropole Hyderabad: Dutzende Pharmafabriken produzierten dort für die ganze Welt, auch große deutsche Generikahersteller. In dort entnommenen Wasserproben werden inzwischen Rückstände von insgesamt 25 verschiedenen Medikamenten gefunden. Unter anderem Antibiotika oder Pilzmedikamente.
Und dies ist nicht nur schlecht für die Umwelt und die Menschen vor Ort. Es kommt auch irgendwann zu uns zurück! An multiresistenten Keimen sterben schon heute nach Schätzungen bis zu 1,2 Millionen Menschen jährlich weltweit!
Denn wenn Antibiotika in die Umwelt gelangen, entwickeln sich auch resistente Bakterien. Sie breiten sich dann verstärkt aus, da sie gegenüber anderen Bakterien einen Überlebensvorteil haben. Und diese multiresistenten Keime können dann von dort wieder in die gesamte Welt hinein getragen werden. Gegen sie gibt es dann oft kein Mittel mehr.
Europa - Produktion zurückholen
Die Rückkehr zur eigenen Arzneimittel-Herstellung in Deutschland und Europa ist deshalb in mehrfacher Hinsicht sinnvoll:
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Um unsere Abhängigkeit vom asiatischen Markt zu begrenzen,
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um die Herstellung mit unseren Sozial- und Umweltstandards zu garantieren,
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um die Belastung in den heutigen Herstellerländern bestenfalls zu beseitigen
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und damit auch das Entstehen von multiresistenten Keimen in Größenordnungen zu verhindern!
Das soll aber nicht heißen, Rückkehr zur einer autarken Versorgung. Denn wir leben nun mal in einer durch und durch vernetzten Welt. Wir profitieren in der Region als Standort von Forschung und Produktion von der Globalisierung! Global Player wie etwa Astra Zeneca, Bayer, Pfizer, Sanofi und Takeda sowie mehr als 20 mittelständische pharmazeutische Unternehmen sind in Berlin-Brandenburg ansässig und beschäftigen rund 10.000 Mitarbeiter.
Deutschland exportiert
Auch als Exportnation bei Arzneimitteln profitiert Deutschland von der Globalisierung: Rund 15 Prozent aller weltweit ausgeführten Medikamente kommen immer noch aus der Bundesrepublik.
Europa schafft neue Bedingungen
Die Lage ist also kompliziert, ein von Bund und EU losgelöstes Handeln bei der „Sicherstellung der Medikamentenversorgung im Land Brandenburg“ geht gar nicht. Deshalb ist es auch gut, dass die Europäische Union mit der bevorstehenden Überarbeitung des Europäischen Arzneimittelrechts Rahmenbedingungen schaffen will, die Lieferketten erhalten und Lieferengpässe möglichst ausschließen sollen.
Dazu wurde unter anderem 2021 von der Kommission die Generaldirektion für Krisenvorsorge und -reaktion bei gesundheitlichen Notlagen (HERA) eingerichtet. Sie soll zu einer so genannten »offenen strategischen Autonomie« der EU beitragen. Importabhängigkeiten bei Arzneimitteln sollen identifiziert und beseitigt werden. Es ist wichtig, dass die Europäische Union effizienter zusammenarbeitet und gerade in Zeiten von Lieferengpässen sowohl im Hinblick auf die Einfuhr, die Produktion und den Austausch von Medikamenten zusammensteht!
Gesundheitsminister handelt bereits
Bereits mit dem Bundeshaushalt 2023 wurden im November 185 Millionen Euro zur Co-Finanzierung des europäischen Programms zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit der Wertschöpfungsketten (IPCEI Health) freigegeben.
Ein Eckpunktepapier des Bundesgesundheitsministeriums vom Dezember 2022 bildet nun auch die Grundlage für ein nationales Gesetzespaket zur Vermeidung von weiteren Arzneimittelengpässen. Die drei wichtigsten Ziele des Bundesministers sind:
1. Zukünftige Arzneimittelengpässe zu vermeiden,
2. die Versorgung mit Kinderarzneimitteln zu verbessern und
3. den Arzneimittel-Produktionsstandort EU zu reaktivieren.
Für bestimmte Kindermedikamente wie Fiebersaft oder Zäpfchen können die Krankenkassen den Herstellern ab
1. Februar 2023 vorübergehend mehr Geld zahlen. Damit soll der momentanen Knappheit bei diesen Arzneimitteln begegnet werden.
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Ebenfalls über finanzielle Anreize sollen zudem Medikamente für die Krebsversorgung Erwachsener und Antibiotika wieder besser verfügbar werden.
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Die Pläne sehen vor, dass generell bei der Medikamentenbeschaffung nicht mehr nur der billigste Anbieter zum Zug kommen soll, sondern Hersteller aus der EU berücksichtigt werden.
Gute Herstellungsbedingungen sollen also künftig vor den Preis gehen und die Abhängigkeit vom asiatischen Markt verringern!
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Die Bundesregierung prüft, ob die Förderung des Auf- und Ausbaus lokaler Produktionsanlagen machbar ist.
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Kriterien sollen erarbeitet werden, um Versorgungsprobleme künftig rechtzeitig zu erkennen.