Der Bahnhof von Erkner um die Jahrhundertwende 1900
Teil I: Als das Dampfross Fahrt aufnahm
Wir schreiben das Jahr 1838. Gerade einmal 13 Jahre ist es her, seit die erste funktionierende Eisenbahn mit einer funktionierenden Dampflok fuhr. Die Stockton and Darlington Railway“ nahm auf neun Meilen am 27. September 1825 mit der Fahrt der von George Stephenson gebauten Lokomotive „Nr. 1“ den regulären Betrieb auf. 75 Jahre später, Ende des 19. Jahrhunderts sollte ein dichtes Schienennetz die Welt umziehen. Die Menschen lebten dann im Industriezeitalter. Von Jörg Vogelsänger
Erinnern wir uns kurz, wie die Menschen um 1840 existierten. Im heutigen Deutschland lebten rund 30 Millionen Menschen, die meisten auf dem Lande. Das Durchschnittsalter lag bei 39 Jahren, die Kindersterblichkeit (50 Prozent in den erste fünf Lebensjahren) eingerechnet. Hungersnöte und Seuchen waren Alltag. Von Romantik und Biedermeier keine Spur. Die Leibeigenschaft im preußischen Staat – einer Großmacht im Europäischen Konzert der Großmächte - war gerade einmal 30 Jahre abgeschafft.
Eine Gesellschaft zu Fuß
Die weiteste Reise führte einen Deutschen von seinem Dorf in die nächste Stadt. Zu Fuß. Diese zählte rund 10.000 Einwohner und war maximal 40 Kilometer entfernt. Das war ein Tagesmarsch von zehn Stunden. Eine Postkutsche schaffte rund 100 Kilometer am Tag, bei einem Tempo von zehn km/h. Eine Tortur für die Reisenden. In den 1850er Jahren legten die Dampfloks 35 Kilometer pro Stunde zurück, um 1900 bereits über 80 km/h. Ende der Neunziger Jahre ist das Eisenbahnnetz im Deutschen Reich weitgehend vollständig. Die Dampfkessel-Revisions-Vereins, ein Vorläufer des TÜV ,wacht über die Zuverlässigkeit von Kesseln bei Bahn und Fabriken.
Als Städte wuchsen und Schlote rauchten
Die Industrialisierung nahm Fahrt auf in diesem Europa seit der Mitte des 19. Jahrhunderts, die Landflucht setzte ein. Wer konnte verließ die Dörfer, die nicht genug boten, um zu überleben. Vor allem junge Menschen suchten ihr Glück in den schnell wachsenden Großstädten wie Berlin. Und landeten häufig im Elend, wie es ein Heinrich Zille in seinem „Milljö“ am Anfang des 20. Jahrhunderts so präzise festhielt. Karl Marx beschrieb die aufkommende Arbeiterklasse und definierte ihre künftige Aufgabe. Gewerkschaften und Sozialisten setzten sich für die Verbesserung der Lebensumstände in der Gegenwart ein.
Wir können uns heute diesen Widerspruch zwischen Aufbruch und Ausbeutung, technischem Fortschritt und menschlicher Verelendung für unsere Breitengrade kaum vorstellen. Dabei müssen wir nur in die aufstrebenden Regionen der so genannten Dritten Welt schauen.
Wir haben die Probleme einer alternden Industriegesellschaften mit einer schwindenden Bedeutung als Lieferant von Industrieanlagen und Konsumgütern. Aber erst einmal zurück in die Mobilisierung unseres Kontinentes.
Ein Stück Eisenbahngeschichte rund um Berlin….
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Die erste Eisenbahn in Preußen eröffnet im Jahre 1838 mit der Strecke Zehlendorf – Potsdam. Es folgen die Anhalter Bahn nach Jüterbog und die Stettiner Bahn.
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Am 23. Oktober 1842 wird die Berlin-Frankfurter-Eisenbahn mit den Bahnhöfen Cöpenick, Erkner, Fürstenwalde, Briesen und den Haltepunkten Hangelsberg sowie Rosengarten in Betrieb genommen. Ausgangsbahnhof ist der Frankfurter Bahnhof (Bild rechts, ab 1881 Schlesischer Bahnhof, danach Ostbahnhof und heute Hauptbahnhof).
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Nach der Streckenverlängerung über Frankfurt/Oder wird die Bahn in Niederschlesisch-Märkische Eisenbahn umbenannt. Ab 1872 wird aufgrund des starken Bevölkerungswachstums der Vorortverkehr von Berlin nach Erkner aufgenommen. Im Jahre 1882 kommt die Zugverbindung vom Schlesischen Bahnhof in Richtung Westen bis nach Potsdam, Wildpark und Werder hinzu.
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In Erkner stößt der Eisenbahnverkehr sehr schnell auf Kapazitätsgrenzen, denn Fern-, Güter- und Vorortverkehr werden auf lediglich zwei Gleisen abgewickelt. So werden 1898 separate Gleise ausschließlich für den Vorortverkehr Berlin – Erkner eingerichtet; die spätere S-Bahn-Strecke beginnt Gestalt anzunehmen. Mittelbahnsteige mit einer Länge von ca. 200 m werden angelegt. Als Ausstattung sind u.a. vorgesehen: ein geschlossenes und beheizbares Wartehäuschen, Dienstbude, Überdachung, Brunnen und – natürlich - eine Abortanlage. Die Stationen der Vorortstrecke nach Erkner sind Karlshorst, Sadowa (ab 1929 Wuhlheide), Cöpenick (ab 1933 Köpenick), Hirschgarten, Friedrichshagen, Rahnsdorf und Wilhelmshagen.
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Nach der Jahrhundertwende werden die Bahnhöfe Kietz-Rummelsburg (heute Rummelsburg) und der Betriebsbahnhof Rummelsburg gebaut.
Das Ende der Eisenbahn-Romantik
Am 5. Mai 1913 spricht das Preußische Abgeordnetenhaus für die Elektrifizierung der Ring-, Stadt- und Vorortbahn aus! Der erste Weltkrieg durchkreuzt wegweisenden diese Pläne. Mit dem Schlieffen-Plan werden im Jahre 1914 die Soldaten des Deutschen Kaiserreiches pünktlich mit der Bahn an die Fronten im Osten und Westen gebracht. „Weihnachten in Paris“, riefen. Von Eisenbahn-Lafetten aus verschießen Kanonen wie die Dicke Berta ihre Granaten an den Fronten. Die Eisenbahn, die für Wohlstand und Mobilität sorgte, wird Teil einer mörderischen Vernichtungsmaschine. Technik wendet sich gegen den Menschen...
Wird fortgesetzt: Von der Weimarer Republik bis zum Zusammenbruch 1945
Quellen:
- Berlin und seine S-Bahn, tanpress, Berlin 1987
- Das künftige Berliner Schnellbahnnetz, Berlin 1928
- Mit Dampf und Strom nach Erkner von Michael Braun